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Wenn einer eine Reise tut…

…kommt er mal kurz zurück. Ende April waren wir für eine Woche zurück in Deutschland (wovon wir rund zwei Tage eigentlich auf der Autobahn verbracht haben). Stichwort Autobahn: Sobald man Schweden verlässt und Dänemark erreicht, stellt man fest, dass hier der Verkehr deutlich dichter wird. Eigentlich nicht verwunderlich, denn man erreicht das Land über die Brücke direkt bei Kopenhagen. Leider wird nicht nur der Verkehr dichter, sondern auch das Auffahrverhalten der anderen Verkehrsteilnehmer. Auch viele Schweden sehen das Tempolimit eher als – sagen wir: Richtwert. Allerdings ist der zu schnelle Schwede so höflich, so viel Abstand zu halten, dass das vorausfahrende Fahrzeug das Nummernschild im Rückspiegel noch bequem erkennen kann. In Dänemark verkürzt sich dann dieser Sicherheitsabstand ein bisschen, so dass das Kennzeichen gerade nicht mehr erkennbar ist.
Sobald man nun jedoch über die deutsche Landesgrenze einreist, fängt man an, an der Menschheit zu zweifeln. Ich gehe jede Wette ein, dass innerhalb der ersten zehn Kilometer auf deutschen Autobahnen (im Idealfall) links ein farbiger Blitz vorbei zieht. Ist man als entspannter Fahrer so dreißt auf diesen ersten Kilometern einen LKW zu überholen, kündigt garantiert ein Blitzlichtgewitter im Rückspiegel an, dass sich die wichtigste Person der Weltgeschichte mit rasanter Geschwindigkeit nähert und der Pöbel doch gefälligst des Königs Spur räumen soll. Bei dieser Gelegenheit steht man das erste Mal vor der Entscheidung: Weiterfahren oder doch lieber spontan auf der Fähre nach Schweden einbuchen? (Von anderen Deutschen, die in Schweden wohnen, wurden uns übrigens ähnliche Erfahrungen berichtet.)

Der Artikel begann schon ziemlich deutsch: erst mal meckern und beschweren. Das ist der zweite Kulturschock zurück in Deutschland: das Der-Kunde-ist-König-Denken. Ich denke, auch das ist ein Phänomen, das eher im zentraleuropäischen Raum anzutreffen ist. „Wenn ich dafür zahle, dann habe ich auch das Recht das Maximum für mein Geld zu erhalten.“ In Skandinavien ist der Kunde erst einmal ein Mensch, der etwas möchte und höflich darum bittet, denn er ist es ja, der ein Bedürfnis oder Problem hat, das befriedigt bzw. gelöst werden sollte. Im Austausch dafür wechselt eben ein wenig Geld den Besitzer, so dass beide etwas davon haben. Auch etwas, das sich deutsche Personen mit Kundenkontakt von den Schweden abschauen können: Dem Kunden die Tür weisen, wenn er/sie einen herablassend behandelt. Jeder Mensch hat seinen Wert und seine Würde und schließlich will in erster Linie der KUNDE etwas und nicht umgekehrt.

Jetzt wird es wieder skandinavischer und der Mecker-Teil ist vorüber. Allgemein wirken die (in diesem Fall zu Fuß gehenden) Menschen auf den Straßen in Deutschland gehetzter und gestresster. Ich bin mir nicht sicher, warum das so ist. Liegt es an der Einstellung, dass „Zeit bares Geld“ wäre? Oder dass man möglichst produktiv sein müsse oder zumindest so wirken, als ob man wichtig wäre und keine Zeit hätte? In Schweden ist das Leben etwas entspannter (na gut, etwas mehr…) – hier sieht man auch an Wochentagen Paare, aber auch reine Männergrüppchen in Cafés sitzen und sich eine kurze und entspannte Pause gönnen. Gehe ich in Deutschland vormittags um 10 Uhr oder nachmittags um 14 Uhr in ein Café und setze mich dort ein Stündchen hin, dann sehe ich vor allem zwei Gruppen von Menschen: junge Mütter oder Rentnerinnen (und gelegentlich auch einen Rentner). Der Rest der Bevölkerung scheint (sofern sie nicht in der Schule sind) fleißig das Bruttoinlandsprodukt zu mehren und keine Zeit für solch Müßiggang zu haben. Deutschland führt immerhin die BIP-Statistik der EU-Länder von 2018 (es ist schwierig verlässliche neuere Zahlen zu finden) mit immerhin 3.386 Mrd. Euro an. Schweden folgt da erst auf dem achten Platz mit schlappen 467 Mrd. Euro. Spricht erst einmal für die deutsche Arbeitsmoral und gegen den Müßiggang der Schweden. Schaut man sich jedoch genauer an, wie viel jeder Einwohner des Landes zu diesem Wohlstand beiträgt, stellt man fest: Ups! Schweden liegt da mit 45.900 Euro ein bisschen vor Deutschland (40.800 €). Also ganz verkehrt können die entspannten Schweden da nicht liegen. (Quelle: Eurostat / statista) Wer sich jetzt übrigens fragt, warum ich als Selbständiger einfach so eine Stunde in einem Café sitzen kann: Glaubt nie einem Selbständigen, der behauptet er hätte keine Zeit. Wenn sich jemand seine Arbeitszeit einteilen kann, dann er/sie. 😉

Bestand unsere Rückreise nur aus negativen Erfahrungen? Natürlich nicht! Es war schön, nach drei Monaten wieder Familie und Freunde zu treffen. Auch für das Konzert hat sich die Rückfahrt gelohnt. Reifenwechseln macht mir zwar noch immer keinen Spaß, aber zumindest haben wir ja nur noch ein Auto statt zwei. 😉

Freuen wir uns wieder zurück in Schweden zu sein? „Ja“, weil hier gerade der Frühling mit einer Geschwindigkeit durchrauscht und in den Sommer übergeht, wie ich es noch nicht erlebt habe, und „nein“, weil wir natürlich wieder von Familie und Freunden getrennt sind, mit denen wir uns jetzt nicht so einfach auf eine Fika (ja, wir sind schon ein bisschen eingebürgert) oder zum Essen treffen kann – aber das holen wir im August dann nach.

Im übernächsten Artikel greifen wir ein Thema auf, das hier bereits kurz zur Sprache kam: den Wert des Einzelnen.

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